Musikalischer Blick in die Geschichte

Samstag, 26.11.2005, 10:09 von Daniel Sandmeier
Jan Koch u. Fritz Thürnau, Gitarre mit Moderator Geerdts

Die Gestalter des Liederabends Fritz Thürnau, Gert-Uwe Geerdts und Jan Koch (v.r.n.l.)

Dass Lieder seit jeher den Zeitgeist und häufig auch die geistig-politische Situation widerspiegeln wurde an diesem Abend exemplarisch an den Liedern aus der Zeit der deutschen Revolution von 1848 bis zu den Widerstandsliedern gegen den Faschismus aufgezeigt.
Arbeiterlieder
Dabei kamen auch die Arbeiterlieder nicht zu kurz. Diese Kultur sei, so Geerdts, im Hitlerfaschismus unterdrückt und diese Lieder auch nach dem II. Weltkrieg von den Massenmedien in der Bundesrepublik weitgehend ignoriert worden. Hierzu gehört das 1907 entstandene Lied „Dem Morgenrot entgegen“, eines der beliebtesten Lieder der Arbeiterjugend, wie auch das heute noch am Ende von SPD-Parteitagen gesungene „Wann wir schreiten Seit´ an Seit´“, ein Lied aus dem Umfeld der zu Beginn des 20. Jahrhunderts bestehenden Arbeiterwandervereine. Geerdts zeigte auf, dass manche Lieder auch den Weg von außen nach Deutschland gefunden hatten, wie das in zaristischer Kerkerzelle 1897 entstandene Lied „Brüder zur Sonne zur Freiheit“ oder das aus Amerika stammende Lied „Brüder seht die rote Fahne“, das auch eines der bekanntesten englischen Streiklieder ist. Es wurde an diesem Abend deutlich, dass Arbeiterlieder Einsicht in die eigene Lage und in politische Zusammenhänge vermitteln und Zielvorstellungen propagieren sollen. Sie können weiterhin Solidarität und die gemeinsame Kraft vermitteln, können Mut machen. Auch der Spaß und der Spott über die Herrschenden oder über allzu Zaghafte kommen nicht zu kurz, wie an dem Lied „Der Revoluzzer“ aufgezeigt wurde. In den meisten Arbeiterliedern kommt der Wille zum Ausdruck, die Herrschaft der Fürsten und Fabrikbesitzer zu überwinden, um die Ziele und Forderung der französischen und später deutschen Revolution nach „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ Wirklichkeit werden zu lassen, so Geerdts.
Lieder der 1848er Revolution
Zahlreiche Lieder entstanden im Umfeld der deutschen bürgerlich-demokratischen Revolu-tion von 1848, die zum Ziel die Errichtung eines starken deutschen Bundesstaates, die Kon-stituierung einer gemeinsamen und freiheitlichen Verfassung und die Änderung der bisheri-gen sozialen Verhältnisse hatte. Im Lied „Trotz alledem“ verdeutlich diese Hoffnung, ebenso das Bürgerlied „Ob wir rote gelbe Kragen“, das nach der Melodie „Prinz Eugen der edle Ritter“ gesungen Wurde. Apro pos singen: An diesem Abend wurde nicht nur zugehört, sondern auch kräftig mitgesungen.
Widerstandslieder
Sowohl das „Einheitsfrontlied“ von Bert Brecht, wie auch internationale Widerstandslieder, wie „Bella ciao“ boten hierzu gute Gelegenheit. Unter dem Einfluss und Erleben des spani-schen Bürgerkriegs von 1936 – 1939, mit seinem Kampf gegen den faschistischen General und späteren Diktator Franco, entstandene mehrere Widerstandslieder. Auch das Lied „Die Arbeiter von Wien“ gibt Zeugnis von dem vergeblichen Kampf österreichischer Arbeiter gegen den drohenden Faschismus in der Zeit um 1930. Das Spiritual „We shall overcome“ wurde zur Kampfhymne im Ringen um eine Welt des Friedens und ohne Diskriminierung der Rassen. Besonders bewegend an diesem Abend war die zitierte Schilderung des Komponisten Rudi Goguel über die Uraufführung des im Sommer 1933 von im Konzentrations-lager Börgermoor bei Papenburg entstandenen Liedes „Wir sind die Moorsoldaten“. Die sechzehn Sänger, vorwiegend Mitglieder des Solinger Arbeitergesangsverein, sangen dies Lied bei einer, von KZ-Insassen organisierten Kultveranstaltung. „Bei der letzten Strophe sangen auch die SS-Leute, die mit ihren Kommandanten erschienen waren, einträchtig mit uns mit, offenbar, weil sie sich selbst als "Moorsoldaten" angesprochen fühlten. Bei den Worten "..Dann zieh´n die Moorsoldaten nicht mehr mit den Spaten ins Moor" stießen die sechzehn Sänger die Spaten in den Sand und marschierten aus der Arena, die Spaten zurücklassend, die nun, in der Moorerde steckend, als Grabkreuze wirkten.“, so Rudi Goguel. Zwei Tage später wurde das Lied verboten, wurde aber dennoch aus dem KZ herausgeschmuggelt und fand so seine Verbreitung.
Den Abschluss an diesem Abend stellte das Lied „Die Internationale“ dar, das 1871 nach der Niederschlagung des Aufstandes in Paris durch preußisches Militär entstand und seit dem aus der internationalen Arbeiterbewegung nicht mehr wegzudenken ist, als ein Lied der Unterdrückten und all derer, die für die Befreiung der Völker kämpfen. Mit dem als Zugabe vorgetragenen Lied „Die Gedanken sind frei“, das um 1870 entstand, wurde nochmals das Gedankengut der Aufklärung deutlich, sich von der geistigen und politischen Bevormundung zu befreien.

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